Axel Voss, Mitglied des Europäischen Parlaments, fordert einen stärkeren Zusammenhalt der EU-Mitgliedstaaten und verteidigt die Europäische Kommission gegen Kritik am Umgang mit der Corona-Pandemie.
In den vergangenen Tagen wurde die Kritik an der Europäischen Kommission in der Corona-Krise als vermeintlich untätig immer lauter. Zuletzt hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder das Krisenmanagement von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in den Medien bemängelt. Immer wieder liest oder hört man „Warum macht die EU denn nichts?“. Diese Einschätzungen führen an der Realität vorbei.
Tatsächlich haben die Kommission und das Europäische Parlament weitreichend reagiert, obwohl Ihre Kompetenzen in der Gesundheitspolitik begrenzt sind. Zum Beispiel haben wir in der letzten Woche im Parlament Maßnahmen beschlossen, um Menschen und Unternehmen bei der Bewältigung der Coronavirus-Krise zu unterstützen. 37 Milliarden Euro aus verfügbaren EU-Mitteln werden für Regionen und Länder mobilisiert, die am stärksten von der Pandemie betroffen sind. Zusätzlich haben wir den Einsatz des EU-Solidaritätsfonds auf Notfälle im Bereich der öffentlichen Gesundheit ausgeweitet und damit bis zu 800 Millionen Euro an Hilfe zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus haben wir die EU-Vorschriften über Flughafenslots ausgesetzt, um zu verhindern, dass Fluggesellschaften während der Pandemie Leerflüge durchführen.
Die eingeschränkte Regelungskompetenz auf europäischer Ebene hat zur Folge, dass für die Bewältigung der Krise und ihrer Folgen die freiwillige Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten unerlässlich ist, welche nun aber gerade oft gar nicht oder erst spät erfolgte. Dies wurde in den letzten Wochen bei den Grenzschließungen ohne Koordination auf EU-Ebene mit kilometerlangen LKW-Staus deutlich. Nationale Alleingänge dieser Art führen hierbei letztendlich zur Gefährdung der Lebensmittelversorgung oder zur Verknappung benötigter Arbeitskräfte.
Bei genauer Analyse muss man feststellen, dass überall dort, wo die EU Handlungsschwierigkeiten hat, unzureichend Kompetenzen seitens der Mitgliedstaaten übertragen wurden. Dies ist sowohl in der aktuellen Krise in der Gesundheitspolitik der Fall als auch in der Migrationspolitik oder beim Außengrenzschutz. All das hat potentiell schwerwiegende Konsequenzen für das Leben unserer Bürger und die politische Stabilität Europas. Selbst bei der Digitalisierung agiert jede Regierung häufig nach ihrem eigenen Fahrplan.
Es ist also nicht die EU-Kommission oder das Parlament, sondern es sind die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten, die das Projekt Europa so im schlimmsten Fall gegen die Wand fahren, weil sie ihre nationalen Interessen in den Mittelpunkt stellen und damit verkennen, dass wir für gemeinsame Probleme auch europäische Lösungen brauchen. Wir müssen der Realität ins Auge sehen: wenn wir in Zukunft noch eine Bedeutung in der Welt haben oder schnell und effektiv auf Krisen reagieren wollen, geht das nur mit der Übertragung von adäquaten Kompetenzen auf die europäische Ebene – überall dort wo eine europäische Lösung für alle von Vorteil ist.
Im Moment schwächen die Mitgliedstaaten als Gliedmaßen die EU – Verstand (Kommission) und Herz (Parlament) aber funktionieren.
Informationen zur Reaktion der EU auf den Covid-19-Ausbruch:
https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/priorities/eu-antwort-auf-das-coronavirus